Introducing...

Kapitel 3

In einer blauen OP-Hose und dem dazu gehörigen Shirt hocke ich auf der niedrigen Sitzbank im Zentrum des Umkleideraumes. Angeblich sollte mich jemand für die erste Schicht abholen, inzwischen warte ich jedoch schon seit einer halben Stunde.

Ich senke den Blick zu meinen blitzweißen Sneakers und bewege die Zehen unter dem Leder.

35 Dollar habe ich für sie ausgegeben, aber ich hatte keine Wahl. Die alten waren einfach zu ramponiert. Dennoch nagt das schlechte Gewissen an mir. Vor allem deshalb, weil ich meine Bankberaterin heute nicht sprechen konnte, um einen Aufschub der Kreditraten zu erreichen. Mir blieb keine Wahl, als bei einer anderen Bank ein Konto zu eröffnen und es sofort bis zur Maximalgrenze zu belasten, um zumindest eine Rate zu überweisen.

Nun habe ich Schulden bei zwei Banken. Aber immerhin habe ich keinen endfällig gestellten Studienkredit, für den ich einen neuen Gläubiger finden muss. Und in zwei Wochen bekomme ich mein erstes Gehalt. Ab da geht es wieder bergauf.

Die Tür schwingt auf, eine Kollegin rauscht auf mich zu. Sie scheint älter als ich zu sein, vielleicht Anfang vierzig. Ihre Wangen sind knallrot verfärbt, die kinnlangen blonden Haare wild durcheinander, die stechend blauen Augen leuchten. Sie sieht aus, als wäre sie eben einen Marathon gelaufen.

»Du musst Sonora sein. Hi, ich bin Claire, stellvertretende Oberärztin der Chirurgie. Sorry, dass ich zu spät bin, da kam noch eine akute Appendizitis rein – die dann doch keine war.« Sie schüttelt verwirrt den Kopf. »Echt seltsam, der Blinddarm war vollkommen in Ordnung, obwohl alle Symptome … Na ja, wie auch immer, der Patient wird in die Diagnostik Abteilung verlegt, die machen das schon.«

Sofort muss ich an meine Mitbewohnerin June denken, die heute genau dort ihre Probezeit beginnt. Sie findet bestimmt heraus, was dem Mann fehlt.

»Schön, dann wollen wir mal.« Sie steckt die Hände in die Kitteltaschen und signalisiert mir, ihr zu folgen.

Ich schnelle hoch und folge ihr. Doch in meiner Nervosität stolpere ich über einen Müllbehälter neben der Tür. Ich taumle kurz und lande schließlich mit einem dumpfen Plumps auf den Knien, während sich der Müll überall auf dem Boden verstreut.

Meine Wangen glühen vor Scham, als ich hastig den Mülleimer aufrichte und die Papiertüten, Zeitungen und Kartons einsammle.

»O Gott, ich wollte … tut mir leid. « Mir ist jetzt schon klar, dass dieser peinliche Einstand die Runde machen wird.

Claire dreht sich um, hebt eine Augenbraue, ihre blauen Augen schauen mir prüfend ins Gesicht. »Willkommen im Halifax Harbor Hospital«, sagt sie trocken und hilft mir auf die Beine.

Ich wasche mir die Hände und wir verlassen zusammen den Umkleideraum. Während wir durch den von Neonlicht erhellten Flur laufen, erklärt sie mir mit stoischer Professionalität, wo alles ist und wer die wichtigsten Ansprechpartner auf der Station sind.

»Die Krankenakten findest du hier am Pflegestützpunkt«, sagt sie und tritt auf den halbrunden Tresen zu, um einzelne Akten an sich zu nehmen. Die Mappen unter den Arm geklemmt, wirft sie mir einen forschenden Blick zu. »Du weißt bestimmt Bescheid, wie du mit dem Pflegepersonal sprechen solltest, oder?«

»Jeder auf der Station macht einen wichtigen Job, keiner ist besser oder schlechter«, antworte ich und ertappe mich dabei, mir zu wünschen, dass das auch für die Welt da draußen wahr wäre.

Claire überreicht mir einen Teil der Akten. »Grundsätzlich richtig, aber …« Sie senkt die Stimme. »Für unseren neuen Boss gilt das nicht. Pass bloß auf bei dem.«


Was stimmt mit Sonoras Boss nicht?

  1. Er ist ein Perfektionist, der keine Fehler duldet
  2. Er hat ein Geheimnis und spielt ein falsches Spiel