Every Step I Take – Eine Szene aus Philipps Leben

Philipp, eine der Nebenfiguren meines Romans, kennst Du ja schon aus einem früheren Blogpost. Heute zeige ich Dir eine Szene aus seinem Leben. Er trifft überraschend auf Sarah, was für beide ungeahnte Folgen hat… Viel Spaß beim Lesen!

Ich kann nicht glauben, dass es Sarah ist, die nach so langer Zeit auf einmal vor mir steht. Mitten im Park, zwischen Lindenalleen und Spielplätzen, wo ich gemütlich auf der Wiese neben dem Springbrunnen liege. Beinahe zwanghaft mustert sie mich und ich bin sicher, sie bemerkt meine Veränderung. Nach außen hin bleibe ich locker, obwohl sich jeder Muskel meines Körpers anspannt.

„Setz dich doch.“ Ich klopfe auf den freien Platz neben mir, aber statt sich zu mir zu gesellen, taxiert sie mich neugierig.

„Nehmen wir doch lieber die Bank dort drüben“, sagt sie und streckt mir ihre Hand mit den perfekt manikürten Fingernägeln entgegen. So wie sie vor mir steht sieht sie aus wie ein künstlicher Fremdkörper in der sonst so natürlichen Umgebung. Wie konnte ich bloß denken, sie würde sich in ihrem eleganten Designerfummel mitten auf eine Wiese setzen.

„Immer noch die alte Sarah, was?“ Wie ein Schuljunge der ihr gleich einen Streich spielen wird, grinse ich sie an. Etwas in ihrem Blick fordert mich heraus. Sie aus ihrem Konzept zu bringen, könnte Spaß machen.

„Natürlich.“ Genau wie erwartet, klingt sie abweisend und kalt. Obwohl das eigentlich unmöglich ist, wird ihr ganzer Körper noch steifer. Sie starrt mich an wie eine Puppe, mit emotionslosen Augen und harten Gesichtszügen. Die Frau muss echte Probleme haben, aber zum Glück wirkt sie nicht so, als würde sie ihren Müll bei mir abladen wollen.

„Wann hast du eigentlich zuletzt etwas getan, einfach nur aus Spaß, ganz ohne einen rationalen Grund?“ Sie sieht mich an, als wäre sie ein Reh und ich die Scheinwerfer eines rasant näher kommenden Autos. „Erwischt!“ Belustigt zeige ich ihr meine Grübchen, um sie noch mehr aus der Fassung zu bringen.

„Ich habe einfach viel zu tun, das ist alles.“ Ihre Stimme klingt hart, schnell verschränkt sie die Arme vor der Brust.

„Das glaubst du doch selbst nicht, Sarah. Wie lange willst du eigentlich noch so weitermachen?“, frage ich sie provokant und beobachte erfreut, wie sie ihren Blick senkt.

Sie räuspert sich, viel zu laut und viel zu lange. „Ich weiß nicht, wovon du sprichst. Bei mir ist alles in bester Ordnung.“

Ihr Lächeln sieht aus wie eine aufgemalte Fratze. Dagegen muss ich etwas tun. Jetzt. Mein Blick zuckt zwischen ihr und dem Springbrunnen hin und her.

Das ist es.

Ruckartig springe ich hoch, packe ihre Hand und ziehe sie zu mir. Die Vorfreude treibt mir ein Grinsen ins Gesicht.

Sie ahnt, was ich vorhabe und macht sofort einen Schritt zurück. „Nein. Niemals.“

„Oh doch, auf jeden Fall.“ Mit einem überdeutlichen Nicken fixiere ich ihre grünen Katzenaugen.

Stark wie eine ganze Gebirgskette hält sie meinem Blick stand. „Also bitte, warum sollte ich so etwas tun?“

„Sag bloß, dafür gibt es keinen Grund? Vielleicht sogar gar keinen außer Spaß?“ Nur um sicher zu gehen, schnappe ich mir auch noch ihre zweite Hand.

„Du solltest dich untersuchen lassen, es gibt Spezialisten für so etwas.“ Sogar in ihrem verächtlichen Schnauben ist ihre Angst deutlich zu hören. „Und jetzt wirst du mich loslassen, verstanden?“

Es ist beinahe so, als würden wir beide an einem unsichtbaren Seil in verschiedene Richtungen ziehen. Trotz ihrer Spaghettibeine ist sie erstaunlich stark, aber ich zerre einfach solange an ihr, bis wir beide direkt am Brunnenrand stehen. Dann lasse ich sie los und springe hinein.

„Komm rein, es ist der Wahnsinn!“ Ich strecke meine Hand nach ihr aus.

„Niemals, das kannst du gleich vergessen.“ Zweifel, Angst und Hoffnung kämpfen in ihrem plötzlich so lebendigen Blick miteinander.

„Fang endlich an zu leben, Sarah. Jetzt.“ So eindringlich wie ich klinge, sehe ich sie auch an.

Trotzdem bewegt sie sich nicht einen Millimeter. Mir bleibt keine andere Wahl, als durch das Wasser zu ihr zu stapfen. Meine nasse Hand legt sich einfach so auf ihre Wange. Sie zuckt zurück, aber ich halte sie fest. Mit meinem Daumen streichle ich über ihre Haut, als könnte ich damit ihre Angst vertreiben.

Dann passiert es plötzlich.

Ihre Gesichtszüge geben nach, werden sehnsüchtig und weich. Unbeachtet gleitet die Handtasche zu Boden, ihre Füße schlüpfen aus den eleganten Stöckelschuhen. Wie in Trance steigt sie jetzt über den Rand des Brunnens und lässt sich einfach fallen.

Als sie wieder auftaucht, ist sie wie verwandelt. Wasserperlen laufen glitzernd über ihre Wangen und versickern im Kragen der durchnässten Bluse. Ihr Lächeln strahlt eine Energie aus, die ich noch niemals zuvor gesehen habe.

Ich kann nichts weiter tun, als sie verdattert anzugrinsen. Weil mir auf einmal alle Worte fehlen.

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