
Every Step I Take – Tom stellt sich vor
Hallo, ich bin Tom. Belinda liegt mir jetzt schon seit Wochen in den Ohren, dass ich mich endlich bei Dir vorstellen sollte. Wie oft habe ich ihr gesagt, dass ich für sowas keine Zeit habe. Aber sie hat mich immer wieder mit ihrem typisch ernsten Gesichtsausdruck daran erinnert, dass sie keine Ruhe geben wird, bis es erledigt ist. Dann hat sie es sogar als Termin in meinen Kalender eingetragen, also bleibt mir jetzt wohl nichts anderes übrig. Entschuldige bitte, ich möchte nicht unhöflich sein, aber Zeit ist nun mal Geld. Gleich wirst Du verstehen wovon ich spreche.
Zuerst schnell die Fakten. Mein Name ist Tom, aber das sagte ich ja schon. Ich bin 1,85m groß und habe braunes, kurz geschnittenes Haar. So manche Frau starrt neidisch auf meine Wimpern und behauptet, sie würden aussehen, wie weiche Fächer. Wunderschön und wahnsinnig elegant, wenn sie sich bewegen. Naja, kann sein, aber das ist mir nicht wichtig.
Ich bin schlank, zugegeben, man könnte es auch schlaksig nennen, aber unter dem Anzug sieht man das ohnehin nicht so genau. Außerdem, Du wirst es vielleicht schon erraten haben, auch für Sport fehlt mir die Zeit. Trotzdem achte ich penibel auf mein Äußeres, habe immer glatt rasierte Wangen und ein gepflegtes Auftreten. Ohne Krawatte, Rolex und Lederschuhe gehe ich nicht aus dem Haus. Natürlich darf auch mein Laptop nicht fehlen, schließlich arbeite ich wann immer ich kann. Mein Job ist mir wichtig. Er ermöglicht mir, das Leben meiner Träume zu führen.
Wie das aussieht, willst Du wissen?
Fakt ist, ich liebe Luxus. Autos, Uhren, Kleidung, einfach alles was ich besitze muss von hoher Qualität sein. Von meinem Gehalt kann ich mir das problemlos leisten. Jeder, der mich ansieht, weiß, dass ich es geschafft habe. Was aber noch viel wichtiger ist: Niemand kann erkennen, woher ich komme.
Denn in meiner Kindheit war alles anders.
Um es kurz zu machen, meine Familie war arm. Wir hatten eine winzig kleine Wohnung, in einem mit Graffiti beschmierten Plattenbau am Stadtrand. Das Einkommen meiner Eltern reichte gerade so zum Überleben. Jahrelang waren die abgetragenen Kleider von meinem großen Bruder alles, was ich zum Anziehen hatte.
Kannst Du Dir vorstellen, was das für mich am Schulhof bedeutet hat?
Auf meinem rechten Handrücken kann man es immer noch sehen. Jedes Mal, wenn mir mein anstrengendes Leben über den Kopf zu wachsen droht, berühre ich genau diese Narben. Dann weiß ich wieder, was wirklich zählt.
Ich erinnere mich noch genau an den Tag, an dem mir klar wurde, wohin mein Leben mich führen soll. Damals war ich noch ein kleines Kind, vielleicht acht oder neun Jahre alt. Angewidert stocherte ich in meinem Mittagessen aus Kartoffeln herum, als sich plötzlich trübes Wasser seinen Weg durch die Fliesenfugen unseres Küchenbodens bahnte. Die Waschmaschine war defekt.
Wenig später sah ich meine Mutter mit gesenkten Kopf am Rand unserer braun gekachelten Badewanne hocken. Sie tauchte die schmutzige Bettwäsche so schwungvoll ins Seifenwasser, dass ihr das Wasser bis hoch in ihr Gesicht spritzte. Einzelne Strähnen hatten sich aus ihrem Pferdeschwanz gelöst und klebten feucht an ihren Schläfen. Aber die größten Tropfen, die an ihren Wangen herunter liefen, waren so klar wie ein Gebirgsbach.
In diesem Moment wusste ich, dass ein defektes Haushaltsgerät mich niemals aus der Bahn werfen würde.
Heute habe ich es geschafft. Es hat Jahre gedauert, mehr Einsatz gekostet und Energie verschlungen als ich zuvor für möglich gehalten hätte. Aber jetzt bin ich genau dort, wo ich sein will und eines weiß ich ganz genau: Nichts und niemand wird mir das jemals wieder nehmen können.